Erst denken wir. Dann lernen wir. Dann kannst Du das Gelernte ruhig wieder vergessen und die Noten getrost verbrennen!
Inhalt
Eine wahre Sisyphusarbeit!
Situationen und Dinge unterliegen ständiger Wandlung. Menschen treten in unser Leben und wir in ihres. Unsere Wege kreuzen sich, verlieren sich, begegnen sich wieder oder verschwimmen im Nebel der Zeit.
Wir beginnen ständig von neuem.
Jede Stunde, jeder Tag birgt neue Möglichkeiten. Aber auch neue Abwege und Abgründe. Alles auf der Erde und das Universum an sich strebt zum Chaos. Wollen wir unsere kleine Ordnung aufrechterhalten, so bedeutet das Arbeit. Denn wir müssen mit unserer bisschen Menschenkraft dem Urstreben des Universums zum Chaos entgegenwirken.
- Die Dinge auf unserem Schreibtisch streben zum Chaos, zur Unordnung.
- Das Herbstlaub lässt die Gehwege und Strassen „unordentlich“ aussehen.
- Vergessen wir die Fenster zu putzen, sehen sie bald „chaotisch unordentlich“ aus.
Uns wurde gelehrt, dass wir nicht vergessen sollen, unsere Dinge in Ordnung zu halten.
Wir wollen mit aller Kraft dem Chaos entgegenwirken.
Eine wahre Sisyphusarbeit! Jeden Tag rollen wir den Stein aufs neue den Berg hinauf.
Nebenbei wollen wir alles kontrollieren, beherrschen und behalten.
Um unser alltägliches Zusammenleben auf unserer kleinen Erde zu gewährleisten, ist dieses Kontrollverhalten gerechtfertigt.
Manchmal ist es aber angebracht, loszulassen um zu behalten. Oder gar zu vergessen, um zu verinnerlichen.
Du verlierst was Du festhältst. Du behältst, was Du loslässt!
Aller Anfang ist schwer
Aller Anfang ist schwer. Aber wer immer nur das tut, was er schon immer getan hat. Der wird auch immer nur das bleiben, was er schon immer war.
Darum sollten wir nicht vergessen, immer wieder Neues zu beginnen. Dazu ist es oft notwendig, unsere Komfortzone zu verlassen. Manchmal ist es sogar besser komplett einzureissen, um wieder neu aufzubauen.
Am Anfang steht das Denken. Dann kommt das Lernen. Dann sollten wir das Gelernte wieder vergessen.
Wir denken und lernen und vergessen dabei: „La vida es breve“
In Marbella sagte mir mal ein greiser Kellner: „La vida es breve“. Ich lebte erst seit einigen Monaten an der Costa del Sol und mein Spanisch stak noch in den Kinderschuhen. Ich verstand das Wort „breve“ nicht und erwiderte: „No entiendo“ (Versteh ich nicht) Worauf er antwortete: „Mejor“ (Das ist auch besser so).
„La vida es breve“ bedeutet soviel wie: Das Leben ist kurz
Die philosophische Tiefe dieser banalen Unterhaltung leuchtete mir erst viele Jahre später ein.
Der Lebensweg ist ein ständiger Prozess des Lernens. Alles hat seine Zeit. Ein Apfel braucht seine Zeit von der Blüte bis zur fertigen Frucht. Der Musiker braucht seine Zeit, um ein Stück zu verinnerlichen. Und manche Weisheiten brauchen ihre Zeit, um zum Verständnis vorzudringen.
Die menschliche Seele ist nicht zu jeder Zeit für alle Weisheiten bereit, sondern je nach Lebensweg und -abschnitt nur für bestimmte Erkenntnisse empfänglich. Aber irgendwann werden sie „verinnerlicht“.
Erst denken wir. Dann lernen wir. Dann vergessen wir das Gelernte wieder und verinnerlichen es!
Ein Beispiel:
- Ich denke darüber nach, welches Stück ich auf der Gitarre einstudieren möchte. Ich informiere mich über die notwendigen Akkorde, den Liedtext und die Liedstruktur und lege alles bereit.
- Nun beginne ich mit dem Lernen des Stücks. Durch ständiges Wiederholen und Verfeinern lerne ich schliesslich das Lied auswendig.
- Ich komme an den Punkt, an dem ich das Lied „blind spielen“ kann. Ich kann nun den Text und die Akkorde verbrennen. Ich gehe während des Spielens völlig im Lied auf und muss weder auf meine Finger achten, noch auf das Textblatt sehen. Ich kann das alles vergessen, da ich das Stück verinnerlicht habe!
Der Begriff der Leere
Der asiatischen Begriff der „Leere“ besagt, dass die höchste Kunst darin besteht alles Erlernte zu vergessen, um es aus sich selbst heraus agieren zu lassen.
Um ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, kann man sich einen Gitarristen vorstellen. Er übt Stunden, Tage, Monate immer und immer wieder die gleichen Griffe und Anschläge. Zuerst ganz langsam setzt er seine Finger auf die Saiten, stets darauf bedacht die Töne sauber und klar klingen zu lassen. Mit der Zeit greift er immer selbstbewusster. Und Stück für Stück erschafft er aus dem Meer aller Möglichkeiten eine Melodie, ein Lied.
Auch wenn er es nur nachspielt, kreiert er es doch selbst neu. Um so mehr er übt, desto selbständiger und unbewusster greifen seine Finger. Schliesslich kommt er an einen Punkt, wo er die Melodie völlig unbewusst spielt und nebenbei sogar ein Buch lesen könnte.
Durch das ständige Wiederholen hat er seine Technik „automatisiert“.
Ab diesem Moment ist das Wissen wie er dahin kam nicht mehr wichtig.
Er muss auch nicht mehr darauf achten, wohin er seine Finger setzt. Sie kennen den Weg alleine. Er kann nun die Noten verbrennen, sie sind Teil von ihm, fliessen durch seinen Körper in die Finger und lassen die Melodie erklingen.
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