Wer mit offenem Geist verreist, der erlebt das hohe Gut der Gastfreundschaft. Dieses Gut wird weltweit und seit jeher von allen Kulturen gepflegt. Egal ob am Nordpol bei den Eskimos, in Nepal, Indien oder Frankreich.
Inhalt
Das hohe Gut der Gastfreundschaft
Auf einer Trekking Tour um das Jahr 2000 durch den nepalesischen Himalaya auf dem Weg zum Basiscamp der Mount-Everest-Expeditionen verlief ich mich mit meinem Begleiter in einem Hochtal auf geschätzten 4000 M. ü. M. mitten zwischen den weit hinausragenden Achttausendern. Damals war diese Trekking-Route nicht so ausgebaut wie heute und als Karte hatten wir lediglich eine Gratis-Touristenkarte aus einer Unterkunft in Kathmandu, in der die Gipfel des Himalaya sowie einige wenige Ortschaften verzeichnet waren.
Aus einem Impuls heraus beschlossen wir während einer Reise in Nordindien, Visa für Nepal zu besorgen. Nach einigen Tagen in Kathmandu kam uns dann die glorreiche Idee, einen Bus bis zur letzten angrenzenden Ortschaft am Gebirge – dort wo die Strasse aufhört – zu nehmen und dann von da aus weiterzusehen. Hier angekommen, mieteten wir uns in eine Pension ein. Auf einer eintägigen Erkundungstour begegnete uns ein Bergsteiger, der uns versicherte, dass wir nach einem etwa 2-wöchigen Fussmarsch ins Basislager der Mount-Everest-Expeditionen auf über 5000 M. ü. M. gelangen würden. Und dass man eigentlich nichts falsch machen könne, solange man sich auf den ausgetretenen Pfaden bewege.
Mit völlig ungeeigneten Klamotten und einer nutzlosen Wanderkarte machten wir uns schliesslich auf den Weg. Jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang liefen wir los und kurz vor Sonnenuntergang mieteten wir uns in einer Hütte ein. Oft schliefen wir in verrussten Behausungen von Sherpas, wo wir gegen etwas Entgelt ein Bett bekamen. Hier oben gibt es weder Autos, noch Motorräder. Nicht einmal Fahrräder. Alle Strecken werden zu Fuss zurückgelegt. Während wir in den Bergen unterwegs waren, wurden in Kathmandu gerade Mitglieder der königlichen Familie erschossen, es tobte Aufstand auf den Strassen und es herrschte eine Art Ausnahmezustand. Wir erfuhren es aus dem Radio in einem der Bergdörfer. Auf den verschlungenen Pfaden im Himalaya begegneten wir mehrmals voll bewaffneten paramilitärischen Einheiten der kommunistischen Mao-Bewegung, die den König stürzen wollten. Ganz einerlei war uns das nicht. Einheimische versicherten uns aber, dass wir uns wegen dieser Kämpfer keine Sorgen machen müssen, da sie wichtigeres zu tun hätten, als Wanderer zu entführen.
Oft liefen wir Stunden ohne einer Menschenseele zu begegnen. An einer Weggabelung kurz vor der letzten Ortschaft am Basiscamp verliefen wir uns schliesslich. Wir merkten es allerdings erst nach einigen Stunden Fussmarsch in die falsche Richtung. Wir hatten kaum mehr Nahrungsmittel bei uns und auch unsere Kräfte waren ausgezehrt, als wir einem älteren Nepalesen begegneten. Sein Gesicht war gegerbt und sein Alter schwer zu schätzen. In Erinnerung geblieben ist mir ein Stück Schnur mit einem Knoten, das er als Ohrring trug. Er verstand kein Wort Englisch und auch sonst hatten wir das Gefühl, dass er wohl in seinem gesamten Leben noch nicht aus dieser verlassenen Gegend gekommen war.
Mit Händen und Füssen gaben wir ihm zu verstehen, dass wir ins Mount-Everest-Basiscamp wollten und dass wir uns verlaufen haben. Wir fragten nach dem Weg und ob er uns ein paar Nahrungsmittel verkaufen könne. Er nahm uns mit in eine kleine versteckte Siedlung. An einem Haus blieb er stehen. Hier waren alle Frauen dieser kleinen Ortschaft versammelt. Schätzungsweise befanden sich 8 Frauen im Haus und einige Kinder. Denn die Männer waren auf den Feldern oder verdienten sich Geld als Träger. Die Frauen führten uns hinauf in den ersten Stock wo mitten im Raum ein qualmendes Feuer loderte. Der Mann ging wieder seiner Wege und die Frauen luden uns ein, mit ihnen zusammen zu essen.
Auf dem Boden sitzend genossen wir gemeinsam mit unseren Gastgeberinnen das karge Mahl, das aus Reis und sauer eingelegtem Gemüse bestand. Da die Frauen kein Wort Englisch sprachen, beschränkte sich unsere Unterhaltung auf Gesten und Lächeln. Während des Essens lachten alle sehr viel. Wir wussten nicht, wie wir diese Gastfreundschaft angemessen würdigen sollten und so schenkte ich einem der Kinder meine Mundharmonika. Anschliessend machten wir uns wieder auf den Weg.
Lächeln ist die kürzeste Brücke zwischen fremden Menschen
Die Begegnung im Himalaya war nicht das einzigste Mal, wo ich das hohe Gut der Gastfreundschaft erleben durfte. Im indischen Goa wurde ich einmal von einem Kellner zu seiner Familie eingeladen. Ich war schockiert wie ärmlich die Familie hauste, wo ich für kleines Geld wenige Kilometer weiter geradezu wie ein Fürst residierte. Trotz ihrer Armut war ich ihr Gast.
Im ägyptischen Luxor wurde ich einmal von der Strasse weg und mitten in der Nacht gemeinsam mit einem Freund zu Jugendlichen in ihre Wohnung eingeladen, um mit ihnen zusammen Tee zu trinken. Nur wenige Monate zuvor wurden von islamischen Fanatikern einige Kilometer entfernt über 40 Touristen in Luxors Pharaonengräbern niedergemetzelt. Ehrlich gesagt war es mir schon etwas unheimlich während dieser Begegnung.
Wie kam es zu dieser seltsamen Einladung?
Wir waren die letzten Gäste in einer Teestube in einem abgelegeneren Viertel der Stadt. Jeden Tag verbrachte ich gemeinsam mit einem Freund mehrere Stunden dort, bei Tee, Schach und beim Rauchen von Apfeltabak. Als wir zurück zur Unterkunft liefen, war es bereits nach Mitternacht und die Strasse menschenleer. Plötzlich begegneten wir einigen Jugendlichen, die uns unbedingt zu sich einladen wollten. Eigentlich hatte ich keine Lust mitzugehen. Am Ende liessen wir uns breitschlagen. Im Haus angekommen forderten sie uns auf, mit ihnen gemeinsam zu essen. Das lehnten wir aber dankend ab.
Alle sprachen recht gutes Englisch. Wir tranken Tee zusammen, die Jugendlichen zeigten uns ihr Haus, einer spielte uns ein Lied auf seiner Fidel und wir unterhielten uns auch über den Anschlag in den Pharaonengräbern. Im Prinzip waren diese jungen Ägypter genauso wie wir. Sie hielten nichts von Fanatikern und wollten einfach nur ihr Leben nach eigenen Massstäben gestalten. Sie bestätigten uns, dass Gastfreundschaft ein sehr hohes Gut in der islamischen Welt ist. Wer einmal eingeladen wird, gehört sozusagen zur Familie und geniesst Schutz und Verpflegung. Auch während dieser Begegnung war Lächeln der kürzeste Weg der Verständigung.
Vertraue in wildfremde Menschen
Jeder Mensch sollte von vornherein einen gewissen Vertrauensvorschuss geniessen. Als ich mit Paarundzwanzig mit nur sehr wenig Geld gemeinsam mit einem Freund 8 Monate durch Europa reiste, wurden wir in Südfrankreich von einem Röntgenarzt von der Strasse weg zum Essen eingeladen. Aus einem Mittagessen wurden 2 Wochen. Wir schliefen in einem Zelt im grosszügigen Garten der Familie und während er im Krankenhaus und seine Frau als Lehrerin arbeitete passten wir solange auf die Villa und die Kinder auf. Im Gegenzug für die Unterkunft und die Verpflegung erledigten wir ausserdem Arbeiten in Haus und Garten.
Als er uns einmal zum Einkaufen schickte und mir seine Kreditkarte mitsamt der Nummer überliess, fragte ich ihn schliesslich, ob er keine Angst habe, dass wir einfach mit seiner Kohle durchbrennen könnten. Er sah mir in die Augen und meinte, dass er sehe, dass er mir vertrauen könne. Vertrauen ist ein Geschenk. Wer grosszügig damit umgeht, beweist, dass er über genügend Selbstvertrauen und Menschenkenntnis verfügt um es verschenken zu können. Verschenktes Vertrauen kommt dann in Form von Dankbarkeit zurück.
Meinen ersten Job in Spanien bekam ich im Übrigen ebenfalls durch einen Vertrauensvorschuss. Und zwar seitens meiner zukünftigen spanischen Arbeitgeber. Als ich in Marbella ankam, war ich völlig abgebrannt. Ich schlief am Strand und sprach auch kein Spanisch. Trotzdem vertraute man mir. Man mass mich nicht an meinem Aussehen, meiner Abstammung oder anderen Äusserlichkeiten. Man mass mich einzig an meiner verrichteten Arbeit. Und da ich sie gut erledigte, bekam ich am Ende sogar einen längeren Arbeitsvertrag.
Das Miteinander verschiedener Menschen und Kulturen
Wer verreist und mit offenen Augen durch die Welt geht, der wird erkennen, dass alle Menschen im Grunde die gleichen Bedürfnisse haben. Unabhängig von Kultur und Hautfarbe. Jeder will die Grundversorgung für sich und seine Familie gesichert wissen, einen guten Job, ein Haus und ein glückliches Leben. Ob in Nepal, Indien, Ägypten, Deutschland oder Frankreich.
Letzte Woche war ich für ein paar Tage in Amsterdam. Die Stadt ist der Hammer. Es gibt nur wenige Autos und dafür Zehntausende von Rädern und Radfahrern. Gleich am ersten Tag wurde ich von einer älteren Dame fast über den Haufen gefahren. Seitdem versicherte ich mich jedesmal ganz genau, bevor ich einen Radweg kreuzte. Ohne Licht aber dafür mit Affenzahn radeln die Bewohner über die Radwege, Strassen und tausend Grachtenbrücken.
Die Amsterdamer sind ein weltoffenes und freundliches Volk. Ich bin bereits viel vereist, aber selten sah ich einen dermassen bunten und kulturell vielfältigen Schmelztiegel wie diese nie schlafende Stadt. Weisse, Schwarze, Chinesen, Holländer, Deutsche und Besucher aus der ganzen Welt tummeln sich hier. Ich sah sehr viele gemischte Paare. Deutsche mit Chinesinnen. Holländer mit Afrikanerinnen. Afrikaner mit Holländerinnen. USW. Jugendliche Gruppen bestehend aus Holländern, Schwarzen und Asiaten. In den Geschäften und Restaurants arbeiten alle Rassen und Kulturen. Ich sah ein friedliches und prosperierendes Miteinander. Wir alle leben gemeinsam auf diesem kleinen blauen Planeten und gehören der gleichen Rasse an: Sie heisst Mensch!
Nachtrag
Ich kann noch etliche weitere Beispiele aus vergangenen Reisen aufzählen, wo mir ungebeten Gastfreundschaft entgegengebracht wurde.
Hier noch einige Begebenheiten:
⇒ Während einer Radreise durch Frankreich wurden wir in einem Randbezirk von Paris von einem Franzosen (ich denke marokkanischer Abstammung) an eine Terrassenbar auf ein Bier eingeladen. Im Gegenzug sollten wir ihm über unsere Reise erzählen.
⇒ Gleich nach dem Anlegen mit der Fähre in Dover wurden wir nach wenigen Kilometern Radtour in einem Randviertel von einem Engländer in seine Wohnung eingeladen. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin assen wir was zusammen, tranken Bier und erzählten. Er wollte ebenfalls wissen wo wir schon überall waren. Er erzählte, dass er beim Militär gewesen sei und in Deutschland schon bei gemeinsamen Manövern.
⇒ Auf einer Tramptour durch Spanien verpasste ich als Jugendlicher in Zaragoza auf dem Hauptbusbahnhof einmal den letzten Bus. Als ich einen spanischen Jugendlichen fragte, wann der nächste Bus fahre, erwiderte er mir, dass er erst am nächsten Morgen abfahre. Einen Satz später lud er mich ein, mit ihm nach Hause zu kommen und bei seinen Eltern zu übernachten. Das ist kein Witz. Im Gegenzug sollte ich ihm einen Wunsch gewähren. Ich ging also mit zu ihm und sass einen Moment später mit seiner Mutter und der Grossmutter am Küchentisch, wo mir Würstchen aufgetragen wurden. Die Nacht durfte ich im Bett seiner Schwester schlafen die auswärts studierte. Am nächsten Morgen musste ich den Wunsch einlösen. Es war ein Besuch in der Kathedrale von Zaragoza. Er und seine Familie waren sehr kirchlich.
Es gibt noch einige weitere Beispiele. Vielleicht werde ich sie bei Gelegenheit noch der Liste hinzufügen.
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